Wir backen uns Gegensatz-Gedichte: Kinder der St. Antonius Schule schreiben eigene Texte
4. Februar 2024

Am 31.01.2024 fand eine POEDU-Werkstatt an der Junior Uni statt. Kinder der Grundschule St. Antonius verfassten und präsentierten eigene Gedichte. In einer Nachbesprechung mit interessierten Erwachsenen kamen dann die pädagogisch-didaktischen Überlegungen des POEDU-Ansatzes in den Blick.
Das war der Anfang, so wird man vielleicht bezogen auf die eine oder den anderen der jungen Autor:innen sagen, die gestern um 17:00 Uhr in der Junior Uni Wuppertal auftraten: Dies war der Beginn mit dem kreativ-literarischen Schreiben und öffentlichen Vortragen von eigenen Texten. Fast eine halbe Stunde gab es Gedichte zu hören, geschrieben von den acht- bis zehnjährigen Kindern der Panda-Klasse der St. Antonius Schule. In nur drei Stunden entstanden eigene Texte, die selbstbewusst und konzentriert vorgetragen wurden.
Mit Gedichten oder Poesie allerdings, so Kathrin Schadt in ihrer Einleitung zur Präsentation, hätten die Kinder zuvor noch kaum Berührungspunkte gehabt, zumindest nicht vor der POEDU-Werkstatt in der Junior Uni am Morgen des 31. Januar 2024. Dann aber haben sie angeleitet durch Kathrin Schadt und Sabine Burkhardt drei Stunden lang Gedichte ‚gebacken‘: einen Teig gerührt von bunt-schillernden Wörtern und diesen in Kuchenförmchen, kleine Reihungen von Versen, gegossen. Und diese gebacken: Geprüft, korrigiert und zweimal geprobt im laut Vorlesen mit einem Stift als Mikrophon-Attrappe in der Hand. Um sie dann – nur Stunden später im Foyer der Junior Uni – mit echtem Mikrophon zu präsentieren und dies vor der versammelten Runde von Eltern, Geschwistern und interessierten Erwachsenen aus der Stadt, darunter auch namenhafte Dichter:innen.
Alle Wörter hatten die Kinder verwenden dürfen, alles verbacken werden können! „Wirklich alles?“, hätten die Kinder gefragt, berichteten Kathrin Schadt und Sabine Burkhardt im Nachgespräch. „Ja, alles“. Denn zum Schreibauftrag an die Kinder, den die zwei Werkstatt-Leiterinnen nach einer Idee des Lyrikers Ron Winkler gestaltet hätten, gehörte auch die Aufforderung, die gefundenen und ausgewählter Wörter möglichst wild zu kombinieren. Schön klingen sollte das, ja, sich reimen oder auch nicht – aber wahr müsse es nicht sein. Im Gegenteil, die Kinder sollten im Wortsinn Verrücktes schreiben: vom gelben Himmel mit einer blauen Sonne und von der Katze Matze, die bellt? Denn alles sei erlaubt und möglich – in der Poesie. Oder genauer beim PoeDU, weil die Kinder und die Schreibleiterinnen sich hier kollegial nicht siezen, sondern duzen, und das POEDU, eine berlinernde Kunstfigur, das sich von Gedichten ernährt, füttern müssen.
Die präsentierten Arbeitsergebnisse der Kinder waren so verschieden wie sie selbst, von einer blubbernden Wortakrobatik voller Freude am aufgeschriebenen und lesend hervorgebrachten Geräusch bis zur persönlichen Verweigerung, die Wahrheit zu verdrehen: „Die Tomate ist rot“, schrieb und las ein Junge und im nächsten Verse gleich noch einmal „Die Tomate ist rot.“ Alle Kinder lasen etwas Selbstgeschriebenes vor und waren dann sichtlich stolz, aufrecht und zufrieden beim langen, herzlichen Schlussapplaus des beindruckten Publikums. Das Vortragen gehört dazu, erläuterten Kathrin Schadt und Sabine Burkhardt ihr Werkstatt-Konzept in der Nachbesprechung.
Beeindruckt von der Arbeiten und dem Auftritt der Kinder, waren nicht nur die Studierenden der Bergischen Universität Wuppertal, die diese Veranstaltung als Teil eines Seminars besuchten, das sie darauf vorbereiten soll, eigene Schreibangebote für Schüler:innen zu entwerfen und demnächst umzusetzen. Auch die Sonderpädagogin der St. Antonius Schule, Jessica Arrenberg, zeigte sich begeistert: „Viele Kinder unserer Schule haben bislang wenig Kontakt zur deutschen Poesie erfahren dürfen. Dass sie nun handelnd und spielerisch mit Worten umgehen konnten, hat sie schnell auf Du und Du mit Poesie gebracht.“
„Unglaublich, was die Kinder hier geleistet haben“ beschreibt Prof. Dr. Kirsten Schindler, die mit Dr. Matthias Rürup gemeinsam das Seminarangebot betreut und die POEDUs eingeladen hat. Besonders beeindruckt ist sie von der Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung und dem konzentrierten Vortrag. „Die Freude an der Poesie merkt man den Kindern deutlich an!“
„Wir freuen uns über die gelungene Kooperation mit dem Bergischen Universität und dem Literaturhaus Wuppertal“, sagt Dr. Stefanie Morgenroth, Fachkoordinatorin an der Junior Uni. „Es ist schön zu sehen, wie kreativ die jungen Poet:innen sich auf das Abenteuer Dichten eingelassen haben. Die heute entstandenen Werke sind einzigartig und jedes für sich großartig. Es freut uns sehr, dass wir den Nachwuchsdichter:innen in der Junior Uni heute Abend direkt die Gelegenheit geben konnten, ihre Werke vor Publikum zu präsentieren.“
Seit vier Jahren gäbe es das Projekt nun schon, erläuterte Kathrin Schadt in der Nachbesprechung. Angefangen habe es in der Corona-Pandemie als gemeinsame Beschäftigung und Lernangebot für ihre Tochter, daheim in Barcelona. Dann habe es sich recht schnell über ihre Online-Kontakte und immer weitere Nachfragen über die Sozialen Medien ausgeweitet zu einem wöchentlichen Schreibauftrag für eine wachsenden Zahl von Familien oder auch Schulklassen, gestellt von immer wieder einer anderen Autorin oder einem Autoren. Zumeist waren es Lyriker:innen – das POEDU liebt und braucht Gedichte –; schon lange bekannte wie der Büchner-Preisträger Jan Wagner, Ulrike Almut Sandig, Lütfiye Güzel, Nora Gomringer oder Dinçer Güçyeter. In seinem Elif-Verlag sind auch die inzwischen zwei POEDU-Bücher erschienen (2020 und 2022), in denen die Schreibaufträge und ausgewählte Gedichte von Kindern dazu veröffentlicht sind. Fast 100 verschiedene Schreibaufgaben von fast ebenso vielen Lyriker:innen habe es in den letzten vier Jahren gegeben. Schon in den letzten Jahren habe es mehr und mehr POEDU-Werkstätten gegeben mit Kindern in und außerhalb von Schulen oder auch mit jungen Erwachsenen, am Haus für Poesie in Berlin, in Worms und Erlangen, in Dubai und Mumbai, online und in Präsenz. Das werden sie und andere aus dem Kreis der POEDU-Aktiven weiterführen und auch gerne als Idee weitergeben.
Die Werkstatt, die Lesung und Nachbesprechung mit Kathrin Schadt und Sabine Burkhardt waren Teil der Veranstaltungsreihe „Schreiben!“, einer Kooperation von Bergischer Universität Wuppertal und Literaturhaus Wuppertal. Zuvor waren schon andere Schreibexpert:innen in Wuppertal zu Gast gewesen, im Dezember Farwa Ahmadyar und Artur Nickel mit der Essener Jugendanthologie und im Januar Hanns-Josef Ortheil. Leitende Fragestellung der Veranstaltungsreihe war, wie man jungen Menschen einen Zugang zum kreativ-literarischen Schreiben vermitteln kann. Sie richtete sich an Interessierte, vor allem an Schulen, Lehrkräfte und andere Akteur:innen aus dem Feld kultureller Bildung und soll fortgesetzt werden. Verbunden mit der Veranstaltungsreihe war ein internes Seminarangebot für Lehramtsstudierende aller Fächer an der Bergischen Universität Wuppertal. Durch die gelungenen Praxisbeispiele angeregt, sollten die Seminarteilnehmer:innen orientiert und angeleitet werden eigene Schreibangebote zu entwickeln und an Schulen in der Region umzusetzen. Auch dieses Seminarangebot wird im Sommersemester fortgeführt, dann ebenfalls unter Beteiligung des POEDUs mit Kathrin Schadt und Sabine Burkhardt.
Ansprechpersonen für weitere Auskünfte zum Projekt und der Veranstaltungsreihe „Schreiben!“ sind:
Dr. Matthias Rürup, ruerup@literaturhaus-wuppertal.de
Prof. Dr. Kirsten Schindler, kschindler@uni-wuppertal.de