Ein einflussreicher Unbekannter – Thorsten Krämer über das Pörtner-Symposium von Stadtbibliothek und Literaturhaus
30. Januar 2025

Paul Pörtner, geboren 1925 in Elberfeld, gestorben 1984, war vieles: Theatermacher, Romanautor, Dichter, Radiokünstler, Wissenschaftler. Sein „Scherenschnitt‟ ist das meistgespielte Theaterstück eines deutschen Autors in den USA. Berühmt ist er dennoch nicht. Selbst in seiner Heimatstadt ist sein Name nur Eingeweihten ein Begriff. Diese aber schätzen ihn als einen der vielseitigsten und produktivsten Künstler, den das Tal hervorgebracht hat.
Um den Kreis dieser Eingeweihten zu vergrößern, hatten Literaturhaus und Stadtbibliothek am Samstag, den 25.01.2025, eine Reihe von Vortragenden in den Lesesaal der Zentralbibliothek geladen, um die verschiedenen Facetten Pörtners zumindest ansatzweise dem Publikum vorzustellen. Durch das Programm führte Max Christian Graeff, der selbst Ende der 1980er bei der Einrichtung des Pörtner-Archivs mitgewirkt hatte und seine Moderationen immer wieder mit seinen persönlichen Erfahrungen mit dem Werk des zu Ehrenden anreicherte. Nach einem Grußwort des Kulturdezernten, der Begrüßung durch Dr. Matthias Rürup, Leiter des Literaturhauses, und einer musikalischen Einstimmung durch den renommierten Cellisten Friedrich Gauwerky ging es gleich weiter zur Festrede. Dr. Ulrike Schrader, Leiterin der Erinnerungsstätte Alte Synagoge, hat einst ihre Magisterarbeit zu Pörtner geschrieben und konnte daher auf eine intensive Auseinandersetzung mit dessen Werk zurückgreifen. Sie zeichnete das Bild eines hochbegabten Menschen, der schon früh den Horizont seiner kleinbürgerlichen Herkunft überschritt und sich in Literatur, Kunst und Theater vertiefte – dies aber nicht als grüblerischer Einzelgänger, sondern im Verbund und im Austausch mit anderen Gleichgesinnten, etwa in der Künstlergruppe „Der Turm‟, die er nach 1945 mitgründete. Seiner übersprudelnden Produktivität (er verfasste unter anderem 36 Hörspiele) haftete dabei auch immer etwas Ruheloses, Getriebenes an. Gleichzeitig ließ ihn, der mit 30 Jahren Wuppertal verlassen hatte, seine Heimatstadt nie ganz los. Schraders Überblick endete mit einer Würdigung der wissenschaftlichen Leistung Pörtners, die nicht vollständig aufgearbeitet ist. So stellte er zwei umfangreiche Bände zur Literatur-Revolution 1910–1925 zusammen – eine herausgeberische Großtat zu einer Zeit, als das Nachkriegsdeutschland noch sehr wenig Interesse an diesem Thema zeigte. (Ein dritter Band, der seinerzeit nie erschienen ist, lagert übrigens annähernd druckfertig im Pörtner-Archiv!)
Nach dieser Menge an Input gab es bei einem Sektempfang nebst Imbiss die Gelegenheit, sich über das Gehörte auszutauschen.

Friedrich Gauwerky
Die zweite Hälfte der Veranstaltung eröffnete abermals Friedrich Gauwerky, diesmal mit der Sonate für Cello solo von Bernd Alois Zimmermann. Diese wurde jedoch nicht nur in der üblich aufgeführten Fassung dargeboten, sondern in zwei weiteren Versionen, wie ursprünglich vom Komponisten vorgesehen. Gauwerky erläuterte vorab das aleatorische Prinzip, das unterschiedliche Reihenfolgen der einzelnen Teile des Werkes ermöglicht. Mit diesem Verfahren, das bewusst den Zufall in eine künstlerische Arbeit einbezieht, war auch gleich der Bogen geschlagen zum Vortrag der Germanistin Dana Machwitz. Denn unter den Radioarbeiten Pörtners, die sie mit Hörbeispielen vorstellte, befand sich auch das Stück mit dem programmatischen Titel „Alea‟ aus dem Jahr 1969/1971. Die Wissenschaftlerin zeichnete den Übergang nach vom klassischen Autor, der seine Werke mit dem Stift am Schreibtisch verfasst, zum zeitgenössischen Autor, der am Regietisch seine Stücke montiert. Einblicke in diese Arbeitsweise vermittelte zudem die kleine Ausstellung mit Material aus dem Archiv, die Machwitz für die Veranstaltung zusammengestellt hatte. Die technischen Entwicklungen, insbesondere die des mobilen Aufnahmegerätes, führten bei Pörtner zu neuen künstlerischen Methoden und Praktiken. So führte er beispielsweise Straßenbefragungen im Umfeld der Kunstmesse „Experimenta‟ im Frankfurt des Jahres 1971 durch und schnitt diese mit Statements beteiligter Künstler*innen und anderen O-Tönen zu einer akustischen Collage zusammen. Heutigen Hörer*innen sind solche Techniken bestens vertraut, und so braucht es mitunter eine besondere Vermittlungsleistung, um die Sprengkraft vergangener Innovationen nachvollziehen zu können.

Mara Genschel
Die Frage, die sich so auch durch die gesamte Veranstaltung zog, lautete daher: Wie aktuell sind Pörtners Experimente heute noch? Welche neuen Experimente sind heute in derselben Tradition möglich? Zur praktischen Beantwortung der zweiten Frage trug die Autorin und Performerin Mara Genschel bei. Mit der mechanischen Schreibmaschine verfasste sie ihre „Pörtnerprosa‟ quasi in Echtzeit noch einmal vor dem Publikum. Dabei passte sie den Text den aktuellen Gegebenheiten an und bezog schließlich auch die Anwesenden in die Textproduktion mit ein. Sehr konkret lenkte Genschel so die Aufmerksamkeit auf das prinzipiell Unfertige des künstlerischen Produktes – ein Aspekt, der auch im Werk Pörtners immer wieder hervorsticht, etwa durch die nicht abzuschließende Jagd nach immer neuen Formulierungen, alternativen Beschreibungen, seiner „Synonymsucht‟, wie Ulrike Schrader es in ihrem Vortrag so treffend genannt hatte.

Prof. Alfred Behrens
Mit Alfred Behrens, Professor an der Filmhochschule Babelsberg, trat dann der einzige Zeitzeuge der Veranstaltung, der Pörtner noch persönlich gekannt hatte, ans Rednerpult. Sichtlich bewegt erinnerte sich Behrens an eine Begegnung mit Pörtner im Norddeutschen Rundfunk und die Zeit seiner eigenen Anfänge beim Radio. Hier wurde noch einmal greifbar, welche Aufbruchstimmung damals geherrscht hat, welche Offenheit gegenüber neuen Formen auf allen Seiten vorhanden war – nicht nur bei den Künstler*innen, sondern auch in den Redaktionen und beim Publikum. Angesichts heutiger Kahlschnitte im Kulturbereich und einer Verschärfung des Tones in der öffentlichen Auseinandersetzung erscheint diese Ära geradezu wie eine Goldene Zeit. Auch Moderator Max Christian Graeff wies immer wieder auf diesen Kontrast hin, und Behrens regte schließlich an, zu Ehren Pörtners in Wuppertal eine Institution einzurichten, die sich der Pflege und Weiterentwicklung des Hörspiels und der akustischen Kunst widmet.

Dr. Alexander Wagner
Zum Abschluss der Veranstaltung lenkte der Germanist Dr. Alexander Wagner noch einmal den Blick auf die Prosa Pörtners. Anhand des Romans „Gestern‟ zeichnete er nach, wie der Autor seine literarische Erinnerungsarbeit anlegt. Der Ich-Erzähler berichtet darin vom Sterben seines Vaters, und während er diesen begleitet, steigen in ihm Erinnerungen an die Kindheit hoch, eine Kindheit während des Nationalsozialismus in Wuppertal. Wagner stellte ausgewählten Textpassagen Bildmaterial der Familie Pörtner gegenüber und konnte so zeigen, wie sehr der Roman autobiografisch geprägt ist. Gleichzeitig gibt es aber auch eklatante Abweichungen von Pörtners eigener Geschichte. Diese Schere verdeutlichte noch einmal, in welcher Dynamik Leben und Werk bei diesem Ausnahmekünstler standen. So endete die Veranstaltung, deren umfangreiches Programm das Publikum sicherlich forderte, aber auch reichlich beschenkte. Im Lauf des Jahres folgen weitere Veranstaltungen zu Pörtner, die das Erinnern an das vielfältige Wirken Pörtners in die Stadt tragen.
Eine Kurzfassung dieses Berichts ist am 28.01.2025 in der Wuppertaler Ausgabe der Westdeutschen Zeitung erschienen.